Zur Geschichte des Freundeskreises vom Robert-Sterl-Haus
von Alfred Jens Thiede
Es werden Anlass, Umstände und Ergebnisse der Gründung des Freundeskreises im November 1978 dargestellt. Dazu wird weitestgehend ein Aufsatz von Peter Hildebrand aus dem Jahr 1999 verwendet. Herr Hildebrand ist Gründungsvorsitzender der Freunde und Förderer des Robert-Sterl-Hauses.
Protest und gesellschaftliches Engagement haben vor über 20 Jahren erreicht, dass eine kunsthistorisch-kulturell wertvolle Gedenkstätte entgegen Vorstellungen des DDR-Staates unvermindert erhalten werden konnte: das Robert-Sterl-Haus in Naundorf. Da dieses selbst Einheimischen der Sächsischen Schweiz kaum bekannt ist, sollen den Erinnerungen an die Ereignisse von 1978 einige Ausführungen zu Robert Sterl und seiner letzten Wohn- und Wirkungsstätte vorangestellt werden.
Robert Sterl (1867-1932) war nicht nur der Maler der schweren Arbeit in den Steinbrüchen der Sächsischen Schweiz. Gleichbedeutend ist vor allem das, was er in der faszinierenden Zeit Dresdner Musikgeschichte, in der Ära des Dirigenten Ernst Edler von Schuch, malerisch erfasste und das, was er von seinen Wolgareisen an Eindrücken verarbeitete. Sein Werk steht an der Seite seiner Zeitgenossen, der Impressionisten Liebermann, Corinth und Slevogt. Sterl ist durch seine realistischen, später auch expressionistischen Züge nicht allein im Rahmen einer festgelegten Kunstrichtung fassbar. Weiterhin hat Sterl als akademischer Lehrer in Dresden, als weitschauender Berater und Förderer des Kunstlebens, als Inhaber zahlreicher Ehrungen und Auszeichnungen und in seinen vielfältigen Beziehungen zu anderen maßgebenden Persönlichkeiten des künstlerisch-kulturellen Lebens seiner Zeit über sein malerisches Schaffen hinaus auf vielfältige Weise gewirkt.
In russischen Szenen und den gleichzeitig entstandenen Steinbrecher- und Musikerbildern hat er Gebiete erschlossen, die für die deutsche Malerei des Impressionismus eine einzigartige Bereicherung und Erweiterung bedeuten. Hans Posse schreibt 1929 in seiner Monografie über Robert Sterl: Seine Kunst ist unromantisch, sachlich und schlicht, aber sinnlich bis ins Letzte. Sie lebt vom Geschehen und Empfundenen, von der Fähigkeit, sich immer von neuem ergreifen, erregen zu lassen durch den Eindruck des farbigen Lebens und seine Melodie durch das Einfach-Menschliche, das hinter den Dingen steht. ….. Zwischen seiner eigenen Tätigkeit hat er sich mit bewunderungswürdiger Selbstlosigkeit und Entsagung, ohne Rücksicht auf Kraft- und Zeitverlust unermüdlich in den Dienst der Allgemeinheit gestellt .
Erfreulicherweise ist uns der Nachlass des Künstlers erhalten und zugänglich geblieben. In dem Haus, in dem er die letzten zwölf Jahre seines Lebens wohnte und arbeitete, finden wir eine Fülle von Bildern, Zeichnungen, Graphiken, Studien und Skizzenbüchern aller Schaffensperioden, von Briefen und Fotos sowie die Bibliothek, das Wohnungs- und Ateliermobiliar, persönliche Erinnerungsstücke und andere zeitgenössische Materialien. Hier, im Sterlhaus, in seiner bislang intimen nichtmusealen Atmosphäre, ist es möglich, sich Robert Sterl zu nähern.
Grundlage der Überlieferung so vieler Zeugnisse dieses Malerlebens an diesem Ort ist die Robert-und-Helene-Sterl-Stiftung. Dazu gehören das Grundstück auf Naundorf-Pötzschaer Flur und das Haus mitsamt dem originalen Interieur. In DDR-Zeit kam die Stiftung zu den Sammelstiftungen des Bezirkes Dresden. Die Sammelstiftungen des Bezirkes Dresden betreuen das Vermächtnis Helene und Robert Sterls bis zum heutigen Tag. Im Jahr 1978 war jedoch der Nachlass akut in Gefahr. Was war geschehen?
Staatlicherseits bestand die Absicht, den beweglichen Nachlass des Künstlers aus dem Haus weitgehend zu entfernen und auf verschiedene Institutionen zu verteilen (Festung Königstein, Galerie Neue Meister, Kupferstichkabinett, Kunstbibliothek Dresden). Vor allem sicherheitsrelevante Bedenken lagen diesem Vorhaben zugrunde. Die Gedenkstätte hätte sich damit auf das Haus mit vorwiegend Kunstdruck-Präsentationen, das Atelier (das zum Kulturraum für FDGB-Urlauber umgebaut werden sollte) und auf das Grab reduziert. Vorgesehen war der Aufbau einer Gedenkstätte, die gleichzeitig die Kunst in und über die Sächsische Schweiz dokumentiert. Es wurde auch die Nutzung des Hauses als Ferienheim in Erwägung gezogen. So wären der einzigartige, wissenschaftlich-kunsthistorische und kulturelle Wert des Sterlhauses und der beabsichtigte Stiftungszweck verloren gegangen. Eine entsprechende Beratung hatte am 6. Oktober jenes Jahres vor Ort mit Vertretern des Ministeriums für Kultur und der Räte des Bezirkes Dresden und des Kreises Pirna stattgefunden.
Frau Helene Landgraf bewohnte und verwaltete das Künstlerhaus von 1950-1980. Zufällig erzählte Frau Landgraf von diesem staatlichen Vorhaben. Sie, die seit 1950, dem Todesjahr von Frau Sterl, allein und im Stillen Haus, Garten und Grab gegen alle Eingriffe und Veränderungen verteidigt hatte, war so verzweifelt wie ratlos. Hier musste reagiert werden. Malerfreund Max Görner schrieb von Berlin aus an den Rat des Bezirkes Dresden. Von Peter Hildebrand ging ein sieben Forderungen enthaltendes Schreiben an den Staatsrat der DDR. Günstig erschien es, eine Gruppe selbstständig agierender Personen an das Haus zu binden. Verbündete zu finden, war wichtig. Der erste Schritt dahin führte Peter Hildebrand zu Natalia Kardinar, die über Sterl promoviert wurde. In der museumspädagogischen Abteilung im Dresdner Zwinger, der Arbeitsstätte von Frau Dr. Kardinar, wurde man sich schnell schnell einig: Wir treffen uns im Sterlhaus, und jeder bringt seine Freunde mit.
Es war eine illustre Gesellschaft von Künstler und Kunstfreunden, die sich am 11. 11. 1978 im Sterlhaus versammelte, einhellig in Credo und Ziel: Das staatliche Vorhaben darf nicht wahr werden! Die 19 Gründungsmitglieder unterschrieben eine Absichtserklärung, deren erster und wichtigster Punkt lautete: „Bewahrung des künstlerischen und kulturellen Bestandes des Sterlhauses in seiner Gesamtheit“. Der Initiator der Sache Peter Hildebrand wurde zum Vorsitzenden gewählt, der bekannte Dresdner Kunstliebhaber und -sammler Friedrich Pappermann1 zum 2. Vorsitzenden. Der Mitgliederkreis erstreckte sich bald über den Dresdner Raum hinaus. Dr. Horst Zimmermann, damals noch Direktor der Kunsthalle Rostock, später der Galerie Neue Meister in Dresden, wurde das erste Ehrenmitglied des Freundeskreises.
Zwei Aufgaben waren vordringlich: die Erstellung eines Statutes und – wegen der erhöhten Wirksamkeit – die Aufnahme des Freundeskreises in den Kulturbund der DDR sowie eine eigene Konzeption zur Erhaltung und würdigen Nutzung des Sterlhauses. Für ersteres waren Geschick im Umgang mit Funktionären und Ausdauer für den bürokratischen Hürdenlauf erforderlich, was die Kunstenthusiasten nicht gerade begeisterte. Die zweite Aufgabe geschah in temperamentvoller ehrenamtlicher Teamarbeit. Im April 1980 lag das Ergebnis vor: die Konzeption zur Erhaltung, zukünftigen Gestaltung und Nutzung des Hauses mit einem wertebeschreibenden und analytischen Teil, der kulturpolitischen Einordnung und gesellschaftlichen Zielstellung, den Erhaltungs- und Nutzungsgrundsätzen, den Vorschlägen für Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen, einem Personalplan, einer Kostenübersicht sowie einem Foto-Anhang und Baugutachten.
Das Konzept war offenbar so überzeugend, dass die staatliche Konzeption ad acta gelegt und die des Freundeskreises im Oktober 1980 fast ohne Abstriche akzeptiert wurde. Die Konzeption des Freundeskreises wurde Schritt für Schritt realisiert. Frau Dr. Natalia Kardinar wurde als wissenschaftliche Leiterin des Hauses eingestellt. Das wichtigste Ziel des Freundeskreises – die Stabilisierung des Sterlhauses – war erreicht. Der Freundeskreis war dabei ein ebenso aktiver wie verlässlicher Partner. Er entfaltete ein breites Wirkungsspektrum; ging es ihm doch nicht nur um die Bewahrung des Sterlhauses als Gedenk- und Forschungsstätte, sondern auch um eine angemessene Würdigung des Sterlschen Werkes in einer weiten Öffentlichkeit und um praktische Hilfe bei der Aufarbeitung und Pflege des Nachlasses. All das gelang auch deshalb gut, weil der Vorstand der Sammelstiftungen, Hans Berninger, zugleich Ratsmitglied für Finanzen des Bezirkes Dresden, an dem Anliegen des Freundeskreises persönlich interessiert war und es wohlwollend förderte.
Von den ersten schönen Erfolgen nach der intensiven Zeit der Papiere und Verhandlungen seien hier erwähnt: der meisterliche, in der Abteilung Plastik/ Gipsbildhauerei der Hochschule für Bildende Künste Dresden im Auftrag des Freundeskreises angefertigte und von ihm finanzierte Abguss der bronzenen Totenmaske Robert Sterls von Karl Albiker (da sich das Original als Dauerleihgabe im Sterlhaus befand und vom Stadtmuseum Dresden zurückgefordert wurde), das denkwürdige erste Konzert im Sterlhaus mit dem Krauß-Quartett der Staatskapelle, die Interview-Gespräche mit Liesel von Schuch-Ganzel im Sterlhaus über die Verhältnisse an der Dresdner Oper vor dem ersten Weltkrieg und die Beziehung zwischen Sterl und Schuch, ihrem Vater, oder die Anregung und Unterstützung der Sterl-Gedächtnis-Ausstellung 1982 in der Nationalgalerie Berlin.
Durch die Initiative Peter Hildebrands, Frau Dr. Kardinars und des Freundeskreises konnte ein Kleinod dem Kulturerbe und der Kulturlandschaft Sächsische Schweiz erhalten bleiben. Kunstsinn, Heimat- und Werteverbundenheit, gesellschaftliches Engagement, taktisches Geschick und konzeptionelle Arbeit, aber letzten Endes auch Einsichtsvermögen von Staatsfunktionären haben dafür die Weichen gestellt.